DER ERSTE BRIEF DES JOHANNES
Obwohl der Schreiber des ersten Johannesbriefs seinen Namen nicht explizit erwähnt, weisen Kirchentradition und Schriftvergleichung eindeutig auf Johannes, der Sohn des Zebedäus hin. Er schreibt zu einer Zeit, als alle andern Apostel schon als Märtyrer umgekommen sind und er der letzte Apostel und Augenzeuge Christi ist.
Zu dieser Zeit war Jerusalem schon von den Römern zerstört worden (AD 70) und die ursprüngliche Heimat der Juden in Galiläa und Judäa war komplett entvölkert. Die christlichen Gemeinden florierten aber an verschiedenen Orten des römischen Reichs, nicht zuletzt in Ephesus, einer Küstenstadt in Kleinasien, wo Johannes wahrscheinlich seine letzten Lebensjahre verbrachte.
Die Gemeinden wuchsen und breiteten sich aus, kämpften aber vermehrt mit verschiedenen falschen Lehren, vor allem von der gnostischen Art. Die Gnostik war eine Vermischung von verschiedenen Ideen und Aberglauben, die die junge Kirche für Jahrzehnte, ja sogar Jahrhunderte beschäftigte, und das Meiste, das Johannes geschrieben hat und nach ihm auch sehr viel, was die Kirchenväter geschrieben haben, behandelt diese Falschlehre.
Die Gnostik war eine elitäre Lehre, die glaubte, dass es nur wenige spezielle Menschen gibt, die einen göttlichen Funken in sich haben und welche durch Erleuchtung zu göttlichen Menschen oder wahren Gnostikern werden können. Alles hängt von Erkenntnis, speziellem Wissen oder geistlichen Erfahrungen ab. Gnostik sah die reale Welt negativ, sah diese göttlichen Funken als gefangen in menschlichen Körpern und sah den menschliche Körper als minderwertig oder sogar schlecht. Dieser Dualismus oder Gegensätzlichkeit führte entweder zur Askese (Geist beherrscht Materie, durch geistliche Disziplin wird der schlechte Körper im Schach gehalten) oder noch häufiger zur totalen Zügellosigkeit (ein wahrer Gnostiker kann mit dem Körper machen was er will, denn der göttliche Funken in seinem Innern kann nicht durch seinen Körper befleckt werden.
Gemäss der Gnostik hat Gemeinschaft mit Gott nichts zu tun mit Umkehr, Vergebung und einem gehorsamen Lebensstil. Die Gnostik trennte alles: göttlicher Geist von schlechten Körper, Erkenntnis von Handeln und Göttlichkeit von Moral. Sie begünstigt ein Klima des Stolzes, der Hochmut und totaler Gleichgültigkeit «normalen Menschen» gegenüber. Die Gnostik betrachtet Jesus als einen Geist, der gekommen ist um Menschen zu erleuchten, der vom Menschen «Jesus» bei seiner Taufe Besitz ergriffen hat, der sich aber nicht durch Leiden und Sterben am Kreuz befleckte. Die Menschwerdung von Jesus, sein Tod am Kreuz, seine Auferstehung und Gottes Versprechen von einer vollständigen Wiederherstellung der Schöpfung in der Zukunft sind für die Gnostiker nicht relevant.
Johannes reagiert auf gnostische Ideen in dem er bekräftigt, dass Jesus sowohl ganz Gott als auch ganz Mensch ist. Jesus ist Gott, er ist Gottes Sohn, er ist der Messias, das ewige Leben, das Gott uns anbietet – und Jesus ist Mensch, er kam im Fleisch, erleidet den Tod und ist körperlich auferstanden. Johannes zeigt, dass das eine oder das andere zu verneinen bedeutet, Christus selbst, die Dreieinigkeit und sogar den Vater zu verneinen. Diejenigen, die solches verbreiten nennt Johannes «Antichristen», ein Wort das er in der Mehrzahl verwendet um auf die verschiedenen Lehrer, die diese falsche Lehre verbreiteten, hinzuweisen.
Johannes verbindet in diesem Brief auf eine herausragende Weise alles, was die Gnostiker zweigeteilt haben. Er vernetzt und verwebt alles und weist mit grosser Autorität darauf hin, dass Gott zu kennen bedeutet, Gottes Gebote zu befolgen. Man kann nicht gleichzeitig Gott erkennen und ihm nicht gehorchen. In Gemeinschaft mit Gott zu sein, bedeutet im Licht zu leben, sich seiner Schuld bewusst zu sein, seine Sünde zu bekennen, Vergebung dankbar anzunehmen und in Heiligkeit zu leben. In Gemeinschaft mit Gott zu sein bedeutet auch in Gemeinschaft mit den Mitmenschen zu sein, Gott zu lieben heisst auch seinen Mitmenschen zu lieben. Wissen und Handeln können nicht getrennt werden, Geistlichkeit und Moral gehören zusammen. Gottes Segen liegt auf denen, die die Mitmenschen lieben. Ein erleuchtetes Leben ist eine praxisnahe Angelegenheit.
Kommt.
Kommt.