JOËL
Joël ist vor allem durch eine Aussage bekannt, die Petrus an Pfingsten zitiert: «Und nach diesem wird es geschehen, dass ich meinen Geist ausgieße über alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, eure Ältesten werden Träume haben, eure jungen Männer werden Gesichte sehen; und auch über die Knechte und über die Mägde will ich in jenen Tagen meinen Geist ausgießen … und es wird geschehen: Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden» (Joël 3, 1-2; 5). Aber in welchem Zusammenhang äusserte Joël diese Voraussage und wie haben Joëls Hörer sie zu seiner Zeit verstanden?
Wir wissen kaum etwas von Joël, ausser was in dem kleinen Buch steht, dass seinen Namen trägt: Er spricht zu Juda und Jerusalem zu einer Zeit, da die Menschen mehrheitlich gottesfürchtig sind und der Tempel und die Priesterschaft ihre Funktionen weitgehend wahrnehmen. Im Gegensatz zu den andern Propheten, zieht Joël Juda für keine einzige spezifische Sünde zur Rechenschaft, aber er ruft sie im Angesicht einer Heuschreckenplage, die das Land verwüstet, zu einer rückhaltlosen Umkehr zu Gott (Joël 1,4; 2,25). In Übereinstimmung mit dem Gottes Gesetz (5.Mose 28,38) und alttestamentlicher Theologie interpretiert Joël die Heuschreckenplage als ein Warnzeichen Gottes.
Er gibt eine sehr lebhafte und wissenschaftlich genaue Beschreibung der Plage (Joël 1,10-12;17-20 und 2,1-11). Er beschreibt Details, die wir auch von heutigen Heuschreckenplagen kennen: die unglaubliche Grösse der Schwärme, das Verdunkeln des Himmels, den ohrenbetäubenden Lärm eines sich nähernden Schwarmes, die totale Zerstörung jeder Ernte, jeden grünen Halms und der Blätter, das Abfressen der Rinden und die Zerstörung der Wurzeln der Bäume etc. Er beschreibt auch korrekt die vier Wachstumsstadien der Heuschrecken (Erwachse, Ei, Larve, Puppe in Joël 1,4 und 2,25), sowie auch die speziellen Schäden, die jedes Wachstumsstadium der Heuschrecke (mit wissenschaftlichem Namen Schistocerca gregaria) anrichtet.
Joël ermahnt Juda deshalb dringend, zu Gott umzukehren. Er spricht alle an: die Priester, die Beamten, die Ältesten, die Bauern, die Weingärtner, die Trunkenbolde, die Alten und die Jungen, ja sogar neu verheiratete Paare. Er ruft sie dringend, zu fasten zu beten und Gott um Hilfe anzuflehen. Er sieht Gott als den, der diese Plage zugelassen hat und auch als den, der sie beenden kann. Er zeigt auf, dass jetzt die demütige Annahme von Gottes Zurechtweisung, aufrichtige Umkehr und das Anflehen Gottes der einzige Weg ist. Es scheint, dass die Menschen dem Aufruf gefolgt sind, denn in der Mitte seines Buches verkündet Joël Gottes Wiederherstellung: «Da erwachte im Herrn … Mitleid mit seinem Volk. Er antwortete ihnen: «Ich schenke euch wieder … viel Getreide, Wein und Öl … ich will euch all die Ernten ersetzen, die diese gefräßigen Tiere vernichtet haben»» (Joël 2,18-19,25).
Nach Abwendung der gegenwärtigen Gefahr, zeigt Joël seinen Zuhörer und Generationen späterer Lesern auf, dass Gottesfurcht, Demut und Umkehr nicht nur eine kurzlebige Antwort auf eine Gefahr, sondern zu einem Lebensstil werden soll. Als Prophet spricht Joël von Gottes grösserer Perspektive: Die Heuschreckenplage war eine vorübergehende Warnung Gottes, ein Aufruf, dass Menschen ihn suchen sollen; aber Gott wird ein endgültiges Gericht bringen, den «Tag des Herrn» (Joël 2,31), der viel entscheidender sein wird. Joël sagt voraus, dass Gott seinen Geist in einer nie dagewesenen Art auf alle Menschen ausgiessen werde, was zu einer überwältigenden Welle von Segen und Erkenntnis Gottes führen wird (Joël 3,1-2). Die Möglichkeit Gott anzurufen, und so gerettet zu werden, wird dann allen Menschen offen stehen: «Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden» (Joël 3,5). Joël, der alle Juden zur Umkehr gerufen hat (Priester, Bauern, Trunkenbolde, etc.) sagt nun etwas viel grösseres voraus: Den Einschluss «allen Fleisches» (Joël 3,1), das heisst aller Menschen – eine Ausweitung der Gnade Gottes. Gottes Geist wird auf alle kommen, Männer und Frauen, Junge und Alte, Freie und Sklaven (Joël 2:28-29). Die Prophezeiung geht noch weiter und sagt voraus, dass «alle Nationen» (Joël 3,2) ins «Tal der Entscheidung» geführt würden (Joël 3,14). Petrus zitiert diese Stelle in seiner Pfingstpredigt und zeigt die neue Ausrichtung dieser Gnade: Er predigt zu Juden und zu zum Judentum konvertierten Heiden aus vielen verschiedenen Nationen und bietet ihnen Vergebung durch Jesus Christus an (Apg 2,14-42). Die junge Kirche begreift schnell, dass es «kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, in dem wir gerettet werden sollen» (Apg 4,12) und Petrus zeigt später den vollen Umfang dieser Gnade auf: «Alle Menschen sind ihm willkommen, ganz gleich, aus welchem Volk sie stammen, wenn sie nur Ehrfurcht vor ihm haben und so leben, wie es ihm gefällt» (Apg 10,35).
Joël ist also ein Prophet der Hoffnung und verkündet, dass alle, die demütig zu Gott umkehren und ihn anrufen, Gnade erhalten, damals wie heute.