AMOS
Amos ist ein Hirte und Landwirtschaftsarbeiter aus einer eher armen Gegend in Juda. Er kennt die Situation der Armen aus eigener Erfahrung und der Gottes Zorn gegen die Unterdrückung der Armen ist seine Kernbotschaft. Amos erzählt nichts über seine Berufung und zählt sich auch kaum zu den Propheten (Amos 7,14-15), aber als Gott ihn ruft, gehorcht er und geht ins nördliche Nachbarland Israel um ihnen eine glühende Prophezeiung von Gottes Gericht zu übermitteln. Er tut dies in Bethel (Amos 7,13), wahrscheinlich zur Zeit der jährlichen Festivitäten dort. Dies braucht unglaublichen Mut, denn Bethel ist Israels Nationalheiligtum, wo Israel in völligem Gegensatz zu Gottes Gesetz nebst Gott einen Altar für die Anbetung eines Kalbes errichtet hat (1.Kön 14,12-16). An diesem Heiligtum amtiert ein «Hohepriester», in einer Nachäffung Jerusalems, der Amos prompt bedroht und König Jeroboam über Amos Vorhersage des Untergangs Israels informiert (Amos 7,10).
König Jeroboam II (782-753 BC) ist ein mächtiger Herrscher unter dem das schwächelnde Israel wieder zu Stärke kommt, verlorenes Land zurück erobert und den Handel in der Region beherrscht (1.Kön 14,23-27). Aber der vermeintliche Aufschwung täuscht, er hat zu einem trügerischen Gefühl der Sicherheit und sogar zu falscher Frömmigkeit geführt. Die Menschen beten Gott und andere Götzen an, sie bringen Opfer aber unterdrücken gleichzeitig Arme und Wehrlose. Gott verabscheut die Kombination von scheinbarer Frömmigkeit und gleichzeitiger Ungerechtigkeit, wie Amos in seiner flammenden Prophezeiung aufzeigt, aber Israel ist nicht Willens zu hören, nicht zuletzt wegen des scheinbaren Wohlergehens Israels.
Amos beginnt seine Prophezeiung im Bethel mit einer Aufzählung der Vergehen der Nachbarländer Israels und Gottes kommendem Gericht über sie: Syrien, das Land der Philister, Tyrus, Edom, Ammon, Moab und Juda, alle werden gerichtet werden. Amos Zuhörer werden mit Begeisterung und Schadenfreude auf diese Richtsprüche reagiert haben, denn Israel litt zu diversen Zeiten unter diesen Nachbarländern. Dann dreht Amos den Spiess aber um und verurteilt Israel gleichermassen: ihre Unterdrückung der Armen, ihre falsche Frömmigkeit, ihren Stolz und Selbstgerechtigkeit, ihr trügerisches Gefühl von Sicherheit, das durch den Boom unter Jeroboam befeuert wurde.
Amos nimmt kein Blatt vor den Mund: «Israel begeht ein abscheuliches Verbrechen nach dem andern. Sie verkaufen den Gerechten um Geld und den Armen für ein Paar Schuhe. Den Wehrlosen treten sie in den Staub, und dem Schwachen verweigern sie sein Recht … Ihr treibt mit der Gerechtigkeit Schindluderei, ihr tretet das Recht mit Füssen … Ihr hasst jeden, der vor Gericht für das Recht eintritt, und wer die Wahrheit sagt, den verabscheut ihr… Ihr räkelt euch auf weich gepolsterten, elfenbeinverzierten Betten und esst das beste Fleisch……aber dass euer Volk dem Untergang entgegengeht, kümmert euch überhaupt nicht» (Amos 2,6-7; 5,7; 6,4-6).
Vor allem seine Anklage gegen ihre falsche Frömmigkeit ist beissend: «Ich hasse eure Feiern, geradezu widerwärtig sind sie mir, eure Opferfeste verabscheue ich. Eure Brand- und Speiseopfer nehme ich nicht an … Eure lauten Lieder kann ich nicht mehr hören, verschont mich mit eurem Harfengeklimper. Setzt euch lieber für die Gerechtigkeit ein! Das Recht soll das Land durchströmen wie ein nie versiegender Fluss» (Amos 5,18-24).
Durch beschämende Worte und beissende Ironie versucht Amos die Leute darauf hinzuweisen, dass ihre vermeintlichen Auserwähltheit zu Überheblichkeit und einer trügerische Selbstsicherheit geführt hat: «Glaubt ihr Israeliten wirklich, ihr wärt besser als die Äthiopier? … Sagt den Mächtigen in den Palästen von Aschdod und Ägypten: Versammelt euch auf den Bergen rings um Samaria und schaut euch an, wie es in dieser Stadt zugeht! Dort herrschen Unterdrückung und Gewalt» (Amos 9,7; 3,9).
Amos sagt die vollständige Vernichtung Israels voraus und spricht (zusammen mit Hosea) Gottes letzte Warnung an Israel aus. Aber bei Gott ist jede Voraussage der Gerichtes gleichzeitig auch eine Einladung zur Umkehr, denn wenn es keine Hoffnung mehr für Israel gegeben hätte, würde Gott nicht mehr sprechen. Also lädt Amos ein: «Ich, der Herr, fordere euch Israeliten auf: Kommt zu mir zurück, dann bleibt ihr am Leben. Reist nicht mehr nach Bethel … kehrt zum Herrn zurück, dann werdet ihr leben! Sonst bekommt ihr seinen Zorn zu spüren. Er wütet wie ein loderndes Feuer, das sich immer weiter ausbreitet» (Amos 5,4-6).
Amos beendet seine Prophezeiung mit Worten der Hoffnung: Gott wird eine Wiederherstellung, nach dem Gericht bringen: «ich will das Geschick meines Volkes Israel wenden, und sie werden die verwüsteten Städte wieder aufbauen und bewohnen» (Amos 9,14). Amos sagt klar, das es nicht das gottlose Israel sein wird, das Gott wieder aufbaut: «An jenem Tag will ich die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten und ihre Risse vermauern und ihre Trümmer wiederherstellen» (Amos 9,11). Die Hoffnung ruht auf Juda und dem Haus Davids.
Vielleicht gab es Leute in Israel, die Amos Worte ernst nahmen und durch Übersiedlung nach Juda dem angekündigten Gericht (722 BC) entflohen. Juda wurde später auch gerichtet und ins Exil geführt (586 BC), aber Gott führt später die bereitwilligen Juden wieder in ihr Land zurück (536 BC). Von diesen zurückgekehrten Juden stammt Jesus ab, dem wirklichen «Spross Davids». Und es sind genau diese Prophezeiungen von Amos, die später den Aposteln zu verstehen helfen, dass die Heiden im Heilsplan Gottes eingeschlossen sind (Apg 15,16-17).