HABAKUK
Typischerweise wenden sich Propheten mit einer Botschaft von Gott an ein Volk. Habakuk hebt sich von allen anderen Propheten ab, indem er niemanden direkt anspricht, sondern stattdessen sein inneres Ringen beschreibt. Er ringt einerseits mit der Frage wieso Gott soviel Böses in der Welt zulässt, andererseits mit der Frage nach Gottes Gerechtigkeit wenn er Böses dann richtet. Habakuk beklagt sich bei Gott, stellt ihm Fragen und Gott antwortet ihm.
Auch wenn Habakuks Prophetie wie ein heimlicher Blick in das persönliche Gebetsleben einer sehr ehrlichen Person ist, spricht sie doch Fragen an, die viele Menschen in Habakuks Zeit beschäftigt haben – und viele Menschen über die Jahrhunderte immer wieder beschäftigen. Die Frage nach Gottes Gerechtigkeit in der Gegenwart von Bösen und der Richtigkeit seines Richtens stellt sich immer wieder, und so bleibt Habakuks Buch über die Jahrhunderte aktuell.
Habakuk nennt keinen König beim Namen, aber die Art der Fragen und seine bestürzte Reaktion auf Gottes Antwort helfen, das Buch zu datieren. Unter dem Einfluss des gottesfürchtigen Königs Josia (680-609 BC) geht es Juda geistlich ziemlich gut. Aber nach dem Tod des Königs muss Habakuk einen schrecklichen Rückfall miterleben: Juda verwirft Gott und stürzt sich Kopf über in Götzendienst, mit der üblichen Konsequenz von wachsender sozialer Ungerechtigkeit. Er schreit zu Gott und fragt verzweifelt: «Warum tust Du nichts dagegen?» (Hab 1,2-4). Gott antwortet, dass er durchaus etwas tun wird, nämlich dass er der Grossmacht Babylon erlauben wird, Juda zu erobern (Hab 1,5-11). Darauf antwortet Habakuk mit einem erneuten Aufschrei und fragt zusammengefasst: «Wie kannst Du eine Nation verwenden um uns zu richten, die selber viel gewalttätiger ist als wir?» (Hab 1,12-2,1). Aus Habakuks Reaktion lässt sich schliessen, dass Babylon damals bereits eine Grossmacht war und bekannt für seine Grausamkeit, aber es war immer noch eine «Gefahr in der Ferne» und noch nicht auf dem Vormarsch. Damit dürfte das Buch in der zeit von 609-605 BC geschrieben worden sein. Denn schon im Jahr 605 BC wird die Prophezeiung zur Wirklichkeit: Babylon erobert Juda zum ersten Mal. Gott beantwortet Habakuks zweiten Aufschrei mit der Versicherung, dass er auch Babylon zu seiner Zeit richten werde, ja dass Gott schlussendlich alle richtet, die Böses tun (Hab 2,2-20).
Das ist eine uralte Zwickmühle: Wenn wir sehen, wie das Böse scheinbar ungehemmt regiert, dann zweifeln wir an Gottes Gerechtigkeit, das er dies zulässt. Aber wenn Gott dann richtet, dann bezweifeln wir seine Gerechtigkeit, weil er eingreift und straft. Wir Menschen sind es, die nicht gerecht sind, wenn wir Gott im selben Moment anklagen nichts zu tun und etwas zu tun. Und unsere Ungerechtigkeit zeigt noch klarer darin, dass wir Gottes Gnade für unsere Bosheit erhoffen, aber nicht bereit sind, Gottes Gnade auch für die andern gelten zu lassen.
Gott versichert Habakuk, dass Er durch und durch gerecht sei und dass es keine Gnade ist, Böses zu lange walten zu lassen. Gott gibt Habakuk aber auch einen flüchtigen Blick auf etwas viel Grösseres in der Zukunft: «Schreibe die Offenbarung nieder und grabe sie in Tafeln ein … denn die Offenbarung wartet noch auf die bestimmte Zeit, und doch eilt sie auf das Ende zu … sie wird gewiss eintreffen und nicht ausbleiben. Siehe … der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben» (Hab 2,2-4). Gott verspricht, dass er eines Tages das Problem des Bösen in einer viel grundlegendere Art angehen wird, und dass es nur durch Glauben möglich ist, dass der Gerechte bestehen kann. Dieser bekannteste Satz von Habakuk wird im neuen Testament oft zitiert, nicht zuletzt von Paulus (Röm1,17; Gal 3,11; Heb 10,39). Durch Jesus wird Gott das Böse richten (das Todesurteil am Kreuz) und dadurch einen Weg der Gerechtigkeit zeigen für alle, die Willens sind und Glauben (Errettung). Durch Jesus wird es möglich, dass Menschen gerecht werden: Sie werden sowohl gerecht gesprochen vor Gott (Vergebung) als auch so verändert, dass ihr Leben voll von der Liebe Gottes sein wird: «Denn die Erde wird erfüllt werden von der Erkenntnis der Herrlichkeit des Herrn, gleichwie die Wasser den Meeresgrund bedeckt» (Hab 2,14). Götzendienst wird schlicht lächerlich sein (Hab 2,18-19) und Gottesfurcht wird alles durchdringen (Hab 2,20).
Habakuks reagiert auf diese Offenbarung Gottes mit tiefer Ehrfurcht. Sein neu erlangtes Verständnis und seine veränderte Haltung drückt sich in seinem Gebet am Ende des Buches aus (Hab 3,1-19). Er hat nicht nur «von deinen grossen Taten gehört», sondern versteht sie jetzt besser: «deine Werke erfüllen mich mit Ehrfurcht» (Hab 3,2). Er nimmt nicht nur Gottes Wirken, seine Wege und auch sein Richten an, sondern er wünscht sie sogar herbei: «Greif in dieser Zeit noch einmal so machtvoll ein, lass uns bald wieder dein Handeln erleben! Auch wenn du im Zorn strafen musst – so hab doch Erbarmen mit uns!» (Hab 3,2). Habakuk hat eine neue Sicht von Gottes Macht und seinem Ehrfurcht gebietenden Eingreifens erhalten (Hab 3,3-15). Er versteht jetzt, dass sein Volk Juda durch schwierige Zeiten wird gehen müssen, aber er kann nun Gottes Hand darin sehen und weiss, dass auch die Verursacher gerichtet werden: «Aber nun will ich ruhig auf den Tag warten, an dem das Unheil über dieses Volk hereinbricht, das zum Angriff gegen uns bläst» (Hab 3,16).
Er weiss, dass schwierige Zeiten bevorstehen, aber anstatt zu klagen und an Gott zu zweifeln, kann er dies als Ergebnis menschlichen Handelns sehen, und trotzdem nicht ausserhalb von Gottes Macht: «der Feigenbaum wird keine Blüten tragen … und auch die Viehställe werden leer stehen … und doch will ich jubeln, weil Gott mich rettet, der Herr selbst ist der Grund meiner Freude!» (Hab 3,17-18). Gott wird seinen Menschen helfen, das Kommende zu verkraften, was auch immer mit ihrem Land geschehen wird: «Ja, Gott, der Herr, macht mich stark; er beflügelt meine Schritte, wie ein Hirsch kann ich über die Berge springen» (Hab 3,19).