HOHELIED
Im Hohelied wird der monogame, ausschliessliche und verbindliche Ehebund und sein körperlicher Ausdruck im Sex gefeiert.
Die Themen und Beschreibungen im Hohelied sind so schön aber auch so lustbetont, dass dies zu verschiedenen Auslegungen dieses Buches geführt hat.
Die häufigste Interpretation sagt, dass das Hohelied ein Sinnbild für Gottes Liebe für uns Menschen ist. Die jüdische Tradition has das Hohelied sinnbildlich auf Gottes leidenschaftliche Liebe zu Israel bezogen. Im Alte Testament wird oft das Bild von Gott als Ehemann und Israel als seine (oft untreue) Frau gebraucht, am deutlichsten beim Propheten Hosea. Die typische christliche Auslegung sagt, dass das Hohelied Jesu leidenschaftliche und selbstlose Liebe zu den Gläubigen und seiner Kirche zeigt. Im Neuen Testament finden wir die Ehebeziehung als Sinnbild für Jesus und seiner Kirche (Eph 5,31-32; 2.Kor 11,1-2; Offb 21,2). Obwohl dies alles legitime Auslegungen vom Hohelied sind, spiegelt dies wahrscheinlich dessen primäre Aussage nicht und war kaum, was der Autor im Sinn hatte, als er es schrieb.
Hohelied allem voran ein wunderschönes, lebhaftes Gedicht über Anziehungskraft, Liebe Vermählung und sexueller Verbindung eines Mannes und einer Frau. Das Hohelied kreist um Salomo, der gemäss jüdischer Tradition der Autor des Hoheliedes ist, aber auch als Hauptfigur in diesem Gedicht erscheint. Da in Israel Salomos Name gleichgesetzt ist mit Weisheit, ist das Hohelied wahrscheinlich ein Vorbild, Lehre oder eine Anleitung für Israel, was Vermählung, Liebe und sexuelle Vereinigung angeht.
Diese Sichtweise ist sehr direkt und sicher plausibel, aber sie wirft auch ernsthafte Fragen auf. Obwohl Salomo in vielen Bereichen sehr weise war, ist sein Verständnis von Frauen in einem tragischen Mass verzerrt: seine überbordende Vielweiberei (sieben hundert Frauen und drei hundert Nebenfrauen), sein Festhalten an Götzen anbetenden fremden Frauen (1.Kön 11,3), seine extrem abwertende Sicht von Frauen (Pred 7,26+28), sein praktisch nicht existierendes Familienleben und seine (höchst wahrscheinliche) Vernachlässigung seiner vielen Kinder machen ihn zu einem sehr schlechten Vorbild. Gott könnte durch einen sexuell so gefallenen Menschen wie Salomo sicher sprechen, aber ist es wahrscheinlich, dass er das im Hohelied tut?
Aus diesem Grund gibt es noch einen anderen Ansatz das Hohelied zu verstehen: Vielleicht wurde das Hohelied nicht von Salomo sondern an Salomo geschrieben (Hoh 1,1, beide Übersetzungen sind möglich). Vielleicht war eine gottgefällige und weise Person an Salomos Hof, die besorgt war um die Richtung, die Salomons Liebesleben einschlug. Vielleicht kleidet diese weise Person ihr Anliegen in ein wunderschönes Gedicht, um Salomon an die Schönheit einer monogamen, ausschliesslichen, tiefen und erfüllenden Ehebeziehung zu erinnern.
Trotz der Schönheit der Dichtung, und sogar der Schmeichelei für Salomo, finden wir nämlich im Hohelied eine unterschwellige Spannung und Herausforderung: die Braut kämpft um die ausschliessliche Aufmerksamkeit des Königs, sie sieht sich der Tatsache von sechzig Frauen und achtzig Nebenfrauen gegenüber (Hoh 6,8-10, 13) und fleht ihn an, sie als Siegel auf sein Herz zu legen (Hoh 8,6-7). «Siegel» spricht von Bund, von Rechtmässigkeit, Ausschliesslichkeit und Permanenz. Die Zahl der Frauen und Nebenfrauen könnte darauf hindeuten, dass die Begebenheit ziemlich am Anfang der Regentschaft Salomos war, als er «erst» sechzig Frauen hatte, verglichen mit den sieben hundert Frauen an seinem Lebensende. Vielleicht wurde das Hohelied anlässlich der einundsechzigsten Hochzeit mit einer schönen, neuen Frau erstmals vorgetragen. In diesem Sinn ist das Hohelied eine Erhebung der Einehe und ein Lossagen von der Vielehe, die Frauen Verachtung und Männern Selbsttäuschung bringt.
Obwohl sicher nicht prüde ist das Hohelied in seinem Wesen sittlich: alle Liebesszenen vor der Hochzeit in Kapitel 3 sind die Träume der Braut. Das Buch schliesst mit der starken Botschaft, dass Selbstbeherrschung im sexuellem Bereich einer Beziehung Frieden und Beständigkeit bringen (Hoh 8,8-10).
Auch wenn das Hohelied der sexuellen Liebe einen hohen Stellenwert gibt, betont es aber trotzdem die Wichtigkeit von gegenseitiger Freundschaft, miteinander verbrachter Zeit, einander Zuhören, warmer Worte und geteilten Lebens. Die beiden Liebenden im Hohelied suchen sich und laden sich gegenseitig immer wieder ein. Es ist von Bedeutung, dass die Liebenden im Hohelied aus ihrem eigenem freien Willen heraus dem Ruf oder der Einladung des andern folgen, ohne Zwang. Es ist kein Anspruch stellen aneinander, sondern ein williges sich selber geben.
Das Hohelied widerspricht dem negativen Denken, von dem das christliche Verständnis während vielen Jahrhunderten geprägt war (zum Beispiel, dass die körperliche Liebe nur zum Zweck der Fortpflanzung erlaubt sei). Dieses Gedicht zeigt im Gegentail, dass Sex zum Genuss gedacht ist, zum freudigen sich einander hingeben, zur Einheit des Ehepaares.
Obwohl das Hohelied für verschiedene Interpretationen und Diskussionen Anlass gegeben hat, niemand kann dessen Schönheit und Reiz verneinen.
Kommt.